Es gibt nichts Schlimmeres, als im Crucible oder an einem anderen großen Veranstaltungsort acht oder neun Frames im Sessel zu sitzen, keinen Ball zu versenken und dem Gegner dabei zuzusehen, wie er Punkte sammelt. Du bist beschämt, fängst an, deine eigenen Fähigkeiten in Frage zu stellen. Aber krankerweise besteht für viele Fans genau darin der Spaß am Snooker, jemanden dabei zu beobachten, wie er im Sessel sitzt, in sich zusammensackt, innerlich in Stücke zerfällt. Manchen Leuten bereitet das ein sadistisches Vergnügen. Das ist die totale Bestrafung.

Beginnen wir diesen Artikel mit einem Zitat von Ronnie O’Sullivan. Was man zur Einordnung wissen muss: O’Sullivan ist das größte Genie, das die Sportart Snooker je hervorgebracht hat. Niemand spielt atemberaubender, niemand schneller, kein anderer Spieler hat so viele Fans auf der Welt wie der knautschnasige Brite. O’Sullivan weiß, dass ihm Snooker manchmal nicht guttut – zu seinen Zwängen und Neurosen später mehr. Doch das Spiel ist wie eine Sucht für ihn. Immer und immer wieder stellt er sich an den Tisch und beginnt, die kleinen Bälle zu lochen.

Die legendäre Snookerhalle Crucible Theatre

Das Crucible Theatre ist die legendäre Snookerhalle im englischen Sheffield, hier wird jedes Jahr die Weltmeisterschaft ausgetragen. Eine Halle mit steilen Tribünen, die große Triumphe und bittere Tränen gesehen hat. Auch O’Sullivan hat hier große Siege gefeiert, aber auch diese anderen Momente erlebt: Wenn er mut-, chancen- und hoffnungslos in seinem Stuhl saß und zusehen musste, wie der Gegner einen Ball nach dem anderen lochte und einen uneinholbaren Vorsprung herausspielte. Oder wenn der Gegner eine Falle stellte, an der er scheitern musste. Beim Snooker geht es manchmal nicht darum, besser zu spielen als der Gegner. Ein Tor mehr zu schießen, härter zu schlagen, weiter zu springen – das sind profane Parameter aus anderen Sportarten. Das Spiel trägt seinen Namen, weil es darum geht, den Gegner in eine ausweglose Situation zu bringen. Kann er den am nächsten zu spielenden Ball nicht mehr auf geradem Wege treffen, ist ein Snookergelegt. Er muss tricksen, über Banden spielen, irrwitzige Manöver wagen, die jeglicher Vernunft widersprechen. Trifft der Gegner den Ball tatsächlich nicht, begeht er ein Foul, für das der andere Spieler sogar Punkte erhält. Ein Foul ist nichts, was das Snookerspiel kaputt macht: Es ist der absolut erwünschte Zustand.

Snooker Taktik und Vergleich mit anderen Sportarten

Snooker ist gemein, und ein Angriff auf die Psyche. Es hat etwas Masochistisches, wenn ein Spieler versucht, dieses Spiel zu kontrollieren, es mathematisch zu erklären. Es sollte doch berechenbar sein, wohin die Kugeln laufen – und doch kommt immer wieder ein unerwartetes Ereignis, das alle Planspiele im Kopf zunichtemacht. Bei keiner anderen Sportart muss ein Spieler zudem so lange tatenlos zusehen, bis der Gegner fertig ist, bevor er selbst loslegen kann. Beim Schach folgt nach einem Zug des Gegners stets ein eigener, beim Snooker weiß kein Spieler, ob sein Gegner nun für eine oder 20 Minuten an den Tisch geht, dabei fünf, 50, 100 oder 147 Punkte in Serie zu spielen beginnt. Die Marter des Stuhls wird dieser Zustand des Wartens genannt; der Spieler kann nur dasitzen und versuchen, sich nicht anmerken zu lassen, wie er innerlich brodelt. Darf der Spieler dann endlich wieder an den Tisch, muss er sofort funktionieren, obwohl der Spielrhythmus durch die Wartezeit natürlich zunichte ist. Ist Snooker dadurch das gemeinste Spiel der Welt?

Jeder, der Fußball liebt, kann auch gegen einen Ball treten. Wer Darts mag, kann mit etwas Glück in jeder x-beliebigen Kneipe seinen Pfeil ins 20er-Feld setzen. Das Gemeine am Snooker ist auch, dass sich kein Laie einfach so an den Tisch stellen und seinen Idolen nacheifern kann. Snooker kann niemand einfach nur so spielen.

Wer mit dem Spielball einen anderen Ball trifft, muss diesen nicht nur ins Loch bugsieren, sondern gleichzeitig berechnen, wohin die weiße Kugel läuft, um eine Fortsetzung zu haben. Sonst ist das Spiel abrupt vorbei. Snooker ist höhere Mathematik auf furchtbar weitläufigem Terrain, denn die Bälle sind klein, die Taschen eng. Wer beim Snooker mithalten will, sollte sich einen Trainer nehmen und sich mit ihm einige Jahre im Keller oder einem Snookerclub einschließen, Stöße üben, Videos der Besten analysieren, ihr Breakbuilding imitieren. Und merken, wie unwahrscheinlich gut die Profis tatsächlich sind.